AUF WIEDERSEHEN!

zum 110. Geburtstag von Pastor Karl Fischer
geb. 20.12.1900 in Altona, gest. 28.03.1972 in Lobetal

„Vielleicht – oder wahrscheinlich – lag hier manches im argen. Aber daneben waren sicher auch noch manche Lichtstellen zu entdecken, wenn man mit Unvoreingenommenheit an die Dinge herantrat und nicht nach Art der Ideologen zu Werke ging, die zuerst eine Theorie aufstellen und dann in der Welt der Wirklichkeiten nach Beweisen dafür Umschau halten…“ (1.)

EINLEITUNG

Pastor Fischer war der erste katholische Nachkriegspfarrer in Neustrelitz. Am 1. April 1946 trat er die Nachfolge des von den Nationalsozialisten geköpften Pastors Dr. Schwentner (2.) an (A). Heute jährt sich sein 110. Geburtstag.

Bislang gibt es keine ernstzunehmende Biographie über das Leben Karl Fischers. Eine im Jahre 2000 in den Historisch-Politischen Mitteilungen der Konrad-Adenauer-Stiftung veröffentlichte biographische Skizze, widmet sich vor allem der Aufdeckung der Widersprüche in der Person Fischers, und klärt über seine sexuellen Vorlieben auf (3). Diese Arbeit Bernd Schäfers offenbart eine deutliche Tendenz zur „Entlarvung“ – welche sich auch in sachlichen Fehlern dieser Studie niederschlägt. Selbst dort, wo es nichts zu entlarven gibt, wird entlarvt, so wenn Schäfer feststellt, dass Fischers „ganz besonderer Eifer“ der Verbreitung seiner Werke galt – als sei dies für einen Schriftsteller etwas völlig Ungewöhnliches. (4).

Eine Neustrelitzer Schülerarbeit im Rahmen des Geschichtswettbewerbs des Bundespräsidenten setzte im Jahre 2009 diese Richtung fort, und untersuchte Karl Fischer als „Helden der Widersprüche“ (5). Diese über die Studie Bernd Schäfers punktuell hinausgehende Arbeit der Schüler des Gymnasiums Carolinum wurde beim Wettbewerb ausgezeichnet.

Dass es Widersprüche in der Person Fischers gab, wurde in beiden Studien hinreichend belegt und soll hier auch nicht in Zweifel gezogen werden. Fischers gesellschaftliche Tätigkeit kann als eine merkwürdige Verbindung von Anpassung und dem Versuch der Selbstbehauptung gesehen werden. Oft genug betrat er dabei grenzwertige Wege. In seinem autobiographisch angehauchten Diaspora-Roman „Das Werk der sieben Tage“, lässt er den Studienrat Eno in diesem Sinne sagen: „Ein Entweder – Oder gibt es für mich im Seelenleben nicht. Zwischen Gut und Böse, zwischen Gläubig und Ungläubig sind tausend Stufen. Ich könnte Ihnen selbst nicht sagen, auf was für einem Absatz dieser schwindelnd hohen Himmelsleiter ich momentan angekommen bin, aber ein anderer wird es erst recht nicht können.“ (6)

Einem rührigen Biographen mag es vorbehalten bleiben die Persönlichkeit Karl Fischers in ihrer Gänze darzustellen. Hier soll lediglich ein Ausschnitt seines literarischen Schaffens vorgestellt werden. Karl Fischer hinterließ ein umfangreiches schriftstellerisches Werk. Darunter finden sich sowohl Novellen, Romane und Kurzgeschichten, religiöse, philosophische und politische Abhandlungen, als auch Hörspiele und zahlreiche Artikel zum Zeitgeschehen – diese allzuoft übermäßig dem Zeitgeist angepasst. Zahlreiche Manuskripte sind bis heute unveröffentlicht geblieben, andere gelangten nur in Zeitungen zur Publikation. (A1)

Das Wesentliche des schriftstellerischen Werkes von Karl Fischer machen ausgesprochene Charakterstudien aus. Sie zeigen das Verhalten von Personen in Krisensituationen auf – ohne in Schwarz-Weiß-Muster oder Vorverurteilungen zu verfallen. Sie zeigen vor allem auch Charaktere, die nicht aktiv das Geschehen beeinflussen wollen, sondern lediglich durch die Situation bestimmt, sich ihr gegenüber verhalten müssen. Und diese, gewissermaßen zur Aktivität gedrängten passiven Charaktere verhalten sich nie nach einem Muster, welches sich in eindeutige moralische Kategorien zwängen lässt. Häufig ist es der Zufall, der sie zu einem erfolgreichen Abschluss führt. Somit ist auch nicht das Ergebnis in den Werken von Fischer wesentlich – sondern die zahlreichen überaus frischen Gedanken, die sich breit gestreut innerhalb der Handlung wiederfinden. Die Sicht auf Kleinigkeiten, die oftmals außerhalb des Blickwinkels liegen, die Perspektive vom Rand.

HAMLET AUF DEN BARRIKADEN

„Hamlet auf den Barrikaden“ ist Karl Fischers erster Roman, der Anfang 1931 in dem Strassburger Verlag Heitz & Cie veröffentlicht wurde. Das kleine Buch erschien unter dem Pseudonym Georg Alfred Vischer. In einem Briefwechsel mit seinem Verleger, begründete Karl Fischer sein Streben nach Anonymität: Es würde Menschen geben, die der Schriftstellerei ablehnend gegenüber stehen würden. In Wirklichkeit waren katholische Pfarrer dazu angehalten, ihre Veröffentlichungen zuvor einer kirchlichen Zensur zu unterwerfen. „Hamlet auf den Barrikaden“ hätte einen schweren Stand gehabt. Das Buch verkaufte sich ohnehin schlecht. 1934 schrieb Karl Fischer an seinen Verleger, dass es sich eigentlich ganz gut verkaufen müsse, da es „von der Bekehrung eines Kommunisten zur nationalen Idee“ handelt. (A2) Dem war aber nicht so.

Das Buch handelt im Übrigen auch von etwas ganz anderem. Es ist die Geschichte des einfachen Arbeiters Georg Friedemann. Schon der Name „Friedemann“ scheint symbolisch gewählt zu sein. Friedemann arbeitet in der Zeit der Weltwirtschaftskrise in einer von der Schließung bedrohten Fabrik einer norddeutschen Großstadt – offensichtlich Bremen.
Friedemann gehört keiner bestimmten sozialen oder politischen Richtung an, wird aber durch den Gang der Ereignisse in den Strudel eines Aufstandes hineingezogen. An diesem beteiligt sich Friedemann im Verlaufe der Handlung eigentlich auf allen Seiten. Nimmt er zuerst aktiven Anteil an der Seite streikender Arbeiter – zu denen er aufgrund seiner Position auch selbst gehört, verhilft er kurz darauf dem Fabrikbesitzer zur Flucht- und rettet ihn so vor den aufgebrachten Arbeitern.
Friedemann handelt immer konkret und unbedarft, ja unbeholfen – selbst als er später halbherzig auf den Barrikaden steht und eine Bombe wirft. In ihm vereinen sich die Widersprüche einer Person ohne klaren Standpunkt. Er ist der „Hamlet“. Er versucht zwar die Hintergründe des sich entwickelnden Dramas zu hinterfragen, handelt aber spontan, ohne ein festes Ziel vor Augen. Somit gerät er zwischen die Stühle. Die Arbeiter wissen warum sie streiken. Der Fabrikbesitzer weiß auch was er tut. Nachdem Friedemann ihm sein Leben gerettet hat, stellt er ihn deswegen auch nicht – wie von diesem erhofft – wieder ein. Die Rücksichtnahme auf seinen Lebensretter wäre dem Geschäft abträglich. Daher bedankt er sich lieber durch eine finanzielle Entschädigung, ohne weitere Verpflichtungen. Friedemann gelingt es nicht aufgrund eigener Kraft zu überleben und eine Aussicht für die Zukunft zu erhalten. Dies bleibt dem Zufall vorbehalten – aufgrund äußerer Umstände. Denn, wie es sich herausstellt, ist Friedemann der uneheliche Sohn eines Gutsbesitzers, welcher ihm, von Gewissensbissen geplagt, am Sterbebett ein kleines Gut überträgt. Aus dem armen „Hamlet auf den Barrikaden“ wird so ein angehender Gutsbesitzer, der seine proletarische Vergangenheit ablegt – symbolisch dargestellt durch den Selbstmord seines stets sozial handelnden Freundes Zschech, welcher sich in der neuen Welt nicht zurechtfinden will.
Die unvoreingenommene Betrachtung eines Außenseiters, lässt das Buch zu einem Lesegenuss werden. Es ist die offene Sicht auf unterschiedliche Akteure eines gesellschaftlichen Umbruchs – ohne ein festgesetztes Ergebnis, ohne einen Standpunkt – nur eine persönliche, aber sehr genaue Betrachtung – die das Werk prägt. Nicht der Ausgang, sondern die Sichtweise von Einzelheiten ist hier von Bedeutung.

DAS WERK DER SIEBEN TAGE

In „Das Werk der sieben Tage“, dem zweiten Roman Fischers, wird analog zur Schöpfungsgeschichte die Tätigkeit eines katholischen Pastors in einer mecklenburgischen Diasporagemeinde dargestellt. Das Buch wurde 1932 in der Bonifacius-Druckerei Paderborn verlegt. (A1)
In Prebentin (angelehnt an Güstrow, der ersten Kaplanstelle Fischers), wo der angehende Pastor Bratka eingesetzt wird, machen es ihm vor allem die Kommunisten schwer. In diesem Werk ist es der Pastor, der zwischen den Stühlen steht. Auf der einen Seite haben die sozialen Forderungen der Kommunisten in der Stadt Gewicht, auf der anderen die nationale Bewegung. Pastor Bratka kann mit beiden wenig anfangen – in dem Werk ist es aus einer sehr interessanten Perspektive geschildert. Jedoch hat Bratka dabei einen Standpunkt – den des katholischen Glaubens.
Nachdem ihm eine kommunistische Demonstration die Fenster einwirft, und er den Rädelsführer, eines seiner „abtrünnigen Schäfchen“, nicht an die Polizei verrät, kann Bratka seine Position in der Stadt festigen. In einem Zeitungsartikel wird sein offenes Auftreten gegenüber der aufgebrachten Menge als Heldentat dargestellt, die ihm allerdings „in keiner Richtung zusagt“:
„Nun, bei Licht gesehen gibt es gar keine Helden, sondern nur triebhaft handelnde oder vom Fanatismus einer Idee vorwärtsgepeitschte Menschen, die unter dem Zwang des Augenblicks etwas tun, was man nachher zur Heldentat frisiert. … Schließlich handelt jeder so, wie es ihm der Augenblick eingibt, der eine mit Geschick, Haltung und Würde, der andere mit hässlich sichtbaren Trieben. Und sehen Sie: das ist die ganze Kultur, dass man diese Triebe ‚mit frommer Täuschung schön verkleidet‘, und unter dieser Rücksicht mögen meinetwegen alle Helden am Leben bleiben.“ (7)

Während die katholische Gemeinde in Prebentin sehr klein ist, und zu einem großen Anteil aus polnischen Saisonarbeitern besteht, muss Bratka sich für einen Bündnispartner entscheiden. Zwischen den Kommunisten und den Nationalen, entscheidet er sich für das „kleinere Übel“ – in seinen Augen die Nationalen. Mit einer Predigt vor der geeinten kleinen katholischen Gemeinde endet das Buch: „Nicht jenes Wirtschaftssystem fürchten wir, das unter einem revolutionären Namen von sich reden macht. Es ist höchste Zeit, mit Nachdruck zu erklären, dass wir über Wirtschaftssysteme nicht zu befinden haben. Wir stehen der einen wie der andern Daseinsform eines Volkes ungebunden gegenüber, sollten wenigstens mit keiner von ihnen auf Gedeih und Verderb verbunden sein! Uns geht es um den Geist.“ (8)

NÄCHTE DER WIRRNIS

Ein besonderes Talent entwickelte Karl Fischer im Schreiben von Kurzgeschichten. Jedoch hatte er enorme Schwierigkeiten diese bei einem Verlag unterzubringen. Einen ersten Erfolg hatte er bei dem Matthias-Grünewald-Verlag (ehem. Verlag Hermann Rauch, Wiesbaden), welcher 1934 seine Kurzgeschichten in der Wiesbadener Landeszeitung abdrucken ließ. Kurz darauf erschienen diese unter dem Titel: „Nächte der Wirrnis, Unheimliche Geschichten“ – auch dieses Buch wurde unter dem Pseudonym Georg Alfred Vischer veröffentlicht. (A1) Eingang fanden darin vier Kurzgeschichten. Es waren dies: 1. „In Nacht und Nebel“, 2. „Geschichte von einem Projektionsapparat und einem Ehrenmanne“, 3. „Die Geschichte von einem hölzernen Fernrohr und einer unmöglichen Weltanschauung“ sowie 4. „Die Geschichte von der Leiter und dem autonomen Menschen“. Diese kleine Sammlung „abenteuerlicher Geschichten aus dem Grenzgebiet zwischen Gut und Böse“ sollten die Absurdität der Vorstellung vom „autonomen Menschen“ deutlich machen. Das Buch sollte fortgesetzt werden, doch vorerst kam es nicht dazu. Erst nach Kriegsende konnte Fischer die Kurzgeschichten, die als Fortsetzung von „Nächte der Wirrnis“ gedacht waren, unterbringen.

BEGEGNUNGEN MIT DEM UNHEIMLICHEN

So erschienen 1947 im Verlag Neues Leben die „Begegnungen mit dem Unheimlichen“. Es ist das letzte explizit literarische Werk Fischers geblieben. In fünf Kurzgeschichten nähert er sich darin scheinbar unerklärlichen, ja sagenhaften Begegnungen – und führt sie gekonnt auf den Augenblick, den Charakter und die Stimmung zurück.
In der Kurzgeschichte „Begegnungen mit dem Unheimlichen“ ist es eine Frage des Aberglaubens, über die sich mehrere Erzähler aus unterschiedlicher Perspektive austauschen.
Es ist eine seltsame bedrückte Stimmung, von der ein Apotheker erzählt – die ihn einmal in seiner Studentenzeit bei glühender dumpfer Hitze die „Kornmuhme“ erblicken ließ – eine Sagengestalt, deren Anblick niemand überlebt. Der am Rande des nervlichen Zusammenbruchs stehende Student flieht und gerät in ein merkwürdiges, an das Mittelalter gemahnendes Haus, vor dem sich eine seltsame Prozession formiert. Derart in eine abergläubische Stimmung versetzt, löst sich für den Leser die Gegebenheit, als sich herausstellt, dass es sich um eine Irrenanstalt handelt, und die „Kornmuhme“ eine entflohene Insassin war. Der nächste Erzähler – ein Rektor, berichtet aus seiner Kindheit – von einer noch weiter zugespitzten Gegebenheit. Einst fuhr er zu später Stunde mit seinem Vater nach Hause. In merkwürdiger Weise passiert es, dass die Pferde in einem vom Gewitter durchnässten Waldweg beginnen sich aufzubäumen. Kurz darauf fallen sie tot zu Boden. Der Vater springt vom Wagen und fällt ebenfalls tot um. Der Erzähler durchlebt eine schreckliche Nacht voller Furcht das Fuhrwerk zu verlassen. Erst am folgenden Morgen, als er von dem Großknecht seines Vaters entdeckt wird, löst sich auch dieses Rätsel – eine Stromleitung war gerissen, und hatte just zu dem Zeitpunkt einige Wasserlachen unter Strom gesetzt – nur für eine kurze Zeit – die den Pferden und dem Vater zum Verhängnis wurden.
Ein Dentist erzählt über eine nächtliche Fahrt in einem Fuhrwerk, bei der sich ihm eine dunkle Gestalt hinzugesellte. Ein Revolverschuss wird dem Dentisten während der Fahrt fast zum Vehängnis – er hatte einen auf der Flucht befindlichen Mörder als Reisegefährten gehabt.
Die letzte Geschichte erzählt ein Studienassessor. Während seiner Studienzeit in einem Kolleg in England, passieren im Internat – einem ehemaligen Kloster – seltsame Dinge. Gegenstände verschwinden, tauchen wieder auf. Niemand weiß warum. Am Ende wird der Erzähler selbst verdächtigt, für das Verschwinden der Gegenstände verantwortlich zu sein. Nur einem Zufall ist es zu verdanken, dass der Rektor bei einem nächtlichen Streifgang den wahren Täter überrascht – eine Hilfslehrerin der Bildungsanstalt.
Im Laufe der Geschichte sind es vier offen an das „Unheimliche“ glaubende, und eine großspurig alles Unheimliche bestreitende, ausschließlich rational denkende Person. Die Kurzgeschichte endet damit, dass die vier Gläubigen sich offen über den rationalen Kern des Erlebten unterhalten können, der Ungläubige – Meier VII genannt – hingegen abergläubig zusammenfährt, als der Wind ihm ein Blatt Papier ins Gesicht weht. Die Kurzgeschichte vermittelt unterbewusst eine Kritik des Fanatismus – es ist weniger die Meinung, als vielmehr die Art und Weise wie sie vertreten wird, die einen Menschen ausmacht.

In der zweiten Kurzgeschichte ist es ein Schriftsteller, der in „Die Moorlöcher“ von einer jungen Frau bezaubert wird, die ihn gleich einer Nixe in einen Sumpf lockt, in dem er badend fast zugrunde geht. In einer Analogie wird die Verbindung zwischen dem, was als „Triebtäter“ bezeichnet wird und der „Loreley“ hergestellt.

In „Kampf um eine Mumie“, welche in einer norddeutschen Hafenstadt spielt, passiert eines Nachts in der katholischen Kirche eines übel beleumundeten Viertels ein Mumienraub. Dutzende von Mumien wurden in der Krypta der Kirche aufbewahrt – Emigranten und deren Nachkommen, die sich nach der Französischen Revolution hier niedergelassen und dann ihre letzte Ruhestätte gefunden haben.
Der Raub wird bemerkt, doch lässt sich die eingetroffene Polizei von den Räubern ins Bockshorn jagen. Die Räuber stellen sich als Nachkommen eines jener nach der Revolution geflohenen Adligen heraus. Sie suchten und fanden ihren mumifizierten Vorfahren, den sie, um einem Erbschaftsstreit ein Ende zu setzen, aus der Kirche raubten. Hier behandelt Fischer „ungesetzliches“ Handeln: „Es gibt Dinge, die sich auf normalem Wege nicht regeln lassen. Da muss man schon einmal zur Selbsthilfe greifen, selbst wenn man dadurch scheinbar gegen einige Gesetze verstößt. Meiner Ansicht nach ist die Hauptsache, dass man nicht gegen ihren Sinn verstößt.“ (9)

In „Die Geschichte von den drei Bindfäden“ geht es um einen Berliner, der in eine mecklenburgische Kleinstadt kommt. Schon bald wird er von zahlreichen Personen argwöhnisch beobachtet – darunter auch dem jungen Lehrer Meissner – der seine große Liebe – die Tochter des Kneipenwirtes – in Gefahr sieht. Wie sich herausstellt mit gutem Grund. Der angebliche Kunstmaler, welcher sich tagelang an einem nahegelegenen See aufhält, um dort Messungen mit einem Bindfaden zu veranstalten, sucht allerdings vor allem einen vergrabenen Juwelenschatz – die Beute eines Raubes. Nach Ankunft zweier weiterer Kumpane – die weitere Bindfäden mitbringen, kann er auch mit Hilfe des Lehrers Meissner den Schatz heben, und verschwindet darauf. Mit einer deutlichen Kritik des sozialen Verbrechens, ist bei Fischer hier auch eine Kritik seiner Ursache präsent, so in Abschnitten, wo er den durchaus geistvollen Verbrecher sagen lässt: „Was heißt Ungesetzliches? Wenn die sogenannten Gesetze des sozialen Lebens fehlerhaft sind, so dass sie dem Einzelnen nicht mehr das Notwendige zum Leben bieten, dann hat er das Recht, sich außerhalb dieser Gesetze zu stellen.“ (10)

Die letzte Geschichte spielt auf „Gut Pepermöhl“. Der Erzähler besucht einen guten Freund, den er seit Jahren nicht mehr zu Gesicht bekommen hat. Dieser besitzt das Gut Pepermöhl. Scheinbar optimistisch, doch offensichtlich von schweren Gedanken geplagt, bietet er ihm ein Rätsel. Dieses löst sich, als sich herausstellt, dass er drei geistesgestörte Schwestern seiner Frau betreuen muss, was ihn maßlos überfordert. Der zu Beginn in eine der drei seltsamen Frauen verliebte Erzähler, ist am Ende selbst froh das Gut verlassen zu können. Sein überforderter Freund lässt sich hinreißen, ihn zu bitten die drei Frauen zu einem „Arztbesuch“ in die Stadt zu fahren. Zuvor hatte er den Weg in die Stadt auf eine Weise präpariert – dass der Erzähler mit seinen Mitreisenden nur durch einen Zufall nicht in einem die Straße kreuzenden Fluss ertrinkt.

Die Strelitzer Strasse 28A - Pastor Fischers Wohnung in Neustrelitz

Interessant bei der Person Pastor Fischers ist, dass dreißig Jahre nach seinem Tod, das Interesse an ihm wieder auflebt. Und am Interessantesten ist – dass er dabei entlarvt wird. Entlarvt mit Geschichten, die sein schriftstellerisches Werk ausmachen – welches die Entlarvenden allerdings durchweg ignorierten. Geschichten über Persönlichkeiten, die sich nicht in das Schema von „gut und böse“ einfügen, die für die Außenwelt formal widersprüchlich handeln – für eine Außenwelt, der konkrete Motivationen fremd sind. „Das Menschenherz ist groß und weit, und je weiter es ist, desto mehr Widersprüche haben Platz darin“ (11)
Der in weiten Teilen berechtigten Kritik an Karl Fischer fehlt in jüngerer Zeit vor allem eines:
„Der Charakter eines Menschen lässt sich weniger daraus erkennen, was er wünscht, als wie er es wünscht.“
Dieser Ausspruch Johann Jakob Mohrs würde gewiss einige Fragen zu der Persönlichkeit Karl Fischers klären. Leider war es bislang nicht von Interesse.

V.T.

Anmerkungen:

(1) – Fischer, Karl: Das Werk der sieben Tage, S. 66
(2) – Bernhard Schwentner: geb. 28.09.1891 in Schwerin, hingerichtet am 30.10.1944 Brandenburg-Görden, katholischer Pfarrer von Neustrelitz, wurde aufgrund einer Provokation zu einer Aussage bewegt, die ihn das Leben kosten sollte. In dem Buch „Christlicher Widerstand gegen den Faschismus“ (Union Verlag, Berlin 1955) findet sich ein Beitrag Karl Fischers zu Bernhard Schwentner.
(3) – Schäfer, Bernd: Priester in zwei deutschen Diktaturen, Die antifaschistische Legende des Karl Fischer (1900-1972), Historisch-Politische Mitteilungen, Heft 7 / 2000, S. 53-78 (Abdruck auch in: Zeitgeschichte regional, Mitteilungen aus Mecklenburg-Vorpommern, Rostock, Bd. 6 / 2002, S. 69-80)
(4) – auf die zum Teil höchst fragwürdige Tendenz von Schäfers Arbeit wird zu späterer Zeit noch besonders einzugehen sein. Hier würde es den Rahmen sprengen.
(5) – Pastor Karl Fischer – ein Held der Widersprüche, Neustrelitz 2009, Beitrag 20091037 beim Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten 2008/2009, Helden: verehrt – verkannt – vergessen
(6) – Fischer, Karl: Das Werk der sieben Tage, S. 10
(7) – Fischer, Karl: Das Werk der sieben Tage, S. 141-142
(8) – Fischer, Karl: Das Werk der sieben Tage, S. 214-215
(9) – Fischer, Karl: Begegnungen mit dem Unheimlichen, S. 67
(10) – Fischer, Karl: Begegnungen mit dem Unheimlichen, S. 108
(11) – Fischer, Karl: Das Werk der sieben Tage, S. 10-11
(A) – Archiv für Christlich-Demokratische Politik, aus: Bestand der Ost-CDU (Vorstand) Signatur: 07-010
(A1) – Karl Fischer: allgemeiner Schriftverkehr (AO 6183-6184)
(A2) – Briefwechsel Karl Fischer – Heitz & Cie (März-Juni 1935), sowie Brief von Karl Fischer an den Hesse & Becker Verlag vom 7. März 1933

Danksagung:
Mit besonderem Dank an das Archiv für Christlich-Demokratische Politik in Sankt Augustin, welches einen bedeutenden, sehr gut aufgearbeiteten Bestand zu Karl Fischer beherbergt.

Überarbeitet am 02.02.2011 und 28.07.2011

Dieser Beitrag wurde unter Neustrelitz, Persönlichkeiten abgelegt und mit , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Eine Antwort zu AUF WIEDERSEHEN!

  1. Nestor Burma schreibt:

    Das ist wirklich ein interessanter Beitrag und auch sehr schön geschrieben. Respekt auch dafür, alle diese Bücher gelesen zu haben. Besonders nachvollziehbar und treffend finde ich das Zitat des „geistvollen Verbrechers“: „Was heißt Ungesetzliches? Wenn die sogenannten Gesetze des sozialen Lebens fehlerhaft sind, so daß sie dem Einzelnen nicht mehr das Notwendige zum Leben bieten, dann hat er das Recht, sich außerhalb dieser Gesetze zu stellen.“
    Und ich freue mich auf weitere Beiträge aus Mecklenburg-Strelitz 🙂

Hinterlasse einen Kommentar